1) Antibiografische Bemerkungen zu „Goethe Kunstwerk des Lebens“ von R. Safranski

Die neue Goethe – Biografie des R. Safranski, der (fast) jedermann allerhöchste Anerkennung zollt und die vom Weimarer Klassik-Präsidenten Hellmut Seemann „ganz oben in der Bewertungskala“ verortet wird (TLZ vom 14.9.2013), verdient wohl einige Aufmerksamkeit.

Dem hohen Anspruch gerecht werdend, nähere ich mich dem Werk R. Safranskis – von hinten. Ehrfurchtsvoll blicke ich auf die vielen Seiten mit dem Verzeichnis der verwendeten Literatur, das mir alle Achtung abringt, denn es ist selbst für einen sich hauptberuflich mit Literatur/Philosophie Beschäftigten nicht unbedeutend. R. Safranski verspricht, sich Goethe ausschließlich aus den primären Quellen – Werke, Bücher, Tagebücher, Gespräche, Aufzeichnungen von Zeitgenossen – zu nähern. Immerhin wird Friedrich Nietzsche mit seinen sämtlichen Werken (15 Bände!) herangezogen, ebenso Immanuel Kant mit seinem 12-bändigen Werk. Dafür verzichtet der Autor ganz auf die zwei Bände Goethes Briefwechsel mit seinem Sohn August von Gerlinde Ulm-Sanford (2005 erschienen). – Ich bin schon jetzt verwirrt: der Autor scheint mit der Doppelbedeutung des Wortes ausschließlich zu spielen.

Zuerst mache ich das zugegeben ganz und gar nicht zulässige Buch-Stechen: indem ich willkürlich eine Seite aufschlage und den Finger auf eine Stelle halte. (Das ist ganz im Sinne es 21. Jahrhunderts, in dem sich die zivilisierten Menschen erst durch die Programme zappen, bevor sie sich für eines entscheiden.) Da steht: Zelter konnte aufatmen. Es macht etwas neugierig zu wissen, warum Zelter wieder frei atmen konnte. Der kurze Absatz klärt auf: Goethe hatte 1812 Beethoven in Teplitz getroffen: Man wechselte auch ein paar Briefe, doch es blieb beim höflichen Umgang. Zelter konnte aufatmen. Der fogende Satz teilt mit, dass Goethe nach Marienbad reiste. – Von exzellentem Schreibstil war irgendwo die Rede gewesen.

Ich sollte doch ganz klassisch vorn beginnen…

Nach einer Vorbemerkung kündigt das erwartungsgemäß lange Inhaltsverzeichnis Goethes Leben in 34 Kapiteln an. Der Inhalt dieser Kapitel wird stichwortartig ohne weitere Seitenangabe genannt: z.B. Schwierige Geburt mit erfreulichen Folgen (aus 1.Kap.), Jung-Stilling. Psychologie der Erweckung und des Schöpferischen (aus 5.Kap.), Freundschaftsfeier. Die zwei Geschwindigkeiten (aus 10.Kap.), Goethes Tao (aus 15.Kap.), Zusammen mit Moritz die Autonomie der Kunst neu begriffen (aus 19.Kap.), Metaphysik und Physik der Geschlechterliebe (aus 28. Kap.), Vom Himmel durch die Welt zur Hölle und wieder zurück (aus 33.Kap.) – bis zur Schlußbetrachtung oder Werden der man ist sind es 645 Seiten.

Schaun wir mal, wie mich der Literaturwissenschaftler und Honorarprofessor an der Freien Universität Berlin im Zeitalter der Plagiate, von denen auch ein Verteidigungsminister, ja sogar eine Bildungsministerin Gebrauch machen, zu neuen Erkenntnissen führt. Immerhin ist Herr Safranski seit kurzem Literaturpreisträger der Konrad-Adenauer-Stiftung.