Wer sich vom Text der Einleitung nicht abschrecken ließ, wird durch eine sehr gut lesbare und detailreiche Biografie auf den kommenden 850 Seiten bestens unterhalten. Der ehemalige und langjährige Direktor des Cotta-Archivs im Deutschen Literaturarchiv Marbach Bernhard Fischer weiß mit den oft verteufelt komplizierten Sachverhalten (S.14) umzugehen und erzählt sachlich, interessant und flüssig vom Leben des Entrepreneurs Freiherrn Johann Friedrich von Cotta von Cottendorf, der uns vor allem als Verleger der deutschen Klassiker Goethe und Schiller im Gedächtnis ist.
Wer war also dieser Cotta, der die seit 1659 bestehende Hof- und Canzelei Buchhandlung für 17.000 fl. seinem Vater im Alter von 23 Jahren abkaufte, obwohl er nach eigenen Angaben nur über 20 Taler bar verfügte? Er war ein promovierter Jurist mit Freude an der Mathematik, doch zur schönen Literatur hatte er auch später keine wirkliche Neigung.(S.19)
Die Entwicklung seiner Gewinne aus dem Verlag von 8.958 fl. im Jahr 1790 auf 57.9057 fl. (1800) und 127.874 fl. in dem Kriegsjahr 1806 zeigt seine kaufmännische Befähigung sehr deutlich. Mit seinem wachen Hang zur Spekulation – also Möglichkeitssinn – habe er zum gesellschaftlichen Wohl beigetragen. (S.14) Betrachtet man die Geschäftsgebaren genauer, wird aus dem willensstarken, langfristig und innovativ denkenden Entrepreneur ein beeindruckender Unternehmer mit einem nicht ganz gefestigten Charakter. (S.14) Diese freundliche Feststellung ließe sich mit einer Schriftanalyse differenzieren. B.Fischer liefert auf Seite 11 eine recht ausführliche Beschreibung der Handschrift von Cotta, die einerseits auf intuitive Intelligenz, diplomatisches Vermögen, spielerische und drängende Lust am Neuen hinweist, andererseits auch auf Nachlässigkeit, verschlungene Lösungswege und eigenwillige Selbstsucht. Letztere scheint die eigentliche Motivationsquelle.
Wer in so kurzer Zeit mit Verlagsarbeit zu nationaler Größe aufsteigen konnte, konnte sich nicht allein auf seine mathematische Fähigkeit, sein Verhandlungsgeschick und einen ausgeprägten Möglichkeitssinn berufen, es gehörte auch Glück dazu und eine an der Grenze zur Unredlichkeit ausgeübte Strategie. Die vielen Belege dafür liefert B.Fischer in bedachten Formulierungen, immerhin gehörte die Familie Cotta mit zu den Sponsoren dieses Buchprojektes. Zu den glücklichen Umständen zählte, dass die Familien Cotta und Schiller 5 Jahre lang im gleichen Haus wohnten, so dass sich der Kontakt zu Schiller und durch diesen zu den wichtigsten Autoren jener Zeit einfach ergab.
Was wie eine Erneuerung seines Verlagswesens klingt, ist in Wirklichkeit das Abschieben von Absatzrisiken auf Buchverkäufer und seine vertraglich gebundenen Autoren, die er mit scheinbar offenen Kalkulationsrechnungen überzeugte, auf seine komplizierten Staffelhonorare einzugehen. Diese wurden oft erst gezahlt, nachdem der Buchverkauf die Verlagskosten wieder eingespielt hatte.
Gegenüber der Familie Herders gab Cotta zu bedenken, dass dieses erst nach einem Verkauf von 1.000 Exemplaren der Fall sei, während er Schiller gestand, dass bereits 500 verkaufte Bücher genügen würden. Doch in seiner eigenen Berechnung setzte er die Bücherpreise so an, daß der Absatz von 200 – 250 Exemplaren die Auslage ersetzt. (S.39)
Eines seiner bewährten Mittel, sein Risiko maximal zu senken und den Gewinn zu sichern, war die Subskription, also die vorherige Kauf-Verpflichtung von Abonnenten oder Käufern. Mit Hilfe dieses speziellen Werbe-Vorganges, in den die betreffenden Autoren oft direkt einbezogen waren, ließen sich die Auflagenhöhe und das Honorar gut bestimmen – und regulieren. Klug war es auch, lokale Druckereien in der Nähe der Autoren zu verpflichten, wodurch die Autoren die Kontrolle der Druckbögen selbst übernahmen und Frachtkosten eingespart wurden. Den Buchverkäufern legte Cotta mit Subskriptionspreisen und kleinen Rabatten Daumenschrauben an. (S.685) Schließlich sparte er auch an der Ausstattung der Bücher. Mängel am Druck, am Papier und fehlende Sorgfalt bei Korrekturen beklagte nicht nur Goethe. Auch vor feindlichen Übernahmen kleinerer Verlagshandlungen machte er nicht Halt. Cotta presste den Markt gleichsam aus, stellt B.Fischer fest. (S.278)
Das auf diese Weise schnell anwachsende Vermögen investierte Cotta in Liegenschaften und Grundeigentum. (In den Jahren von 1807 bis 1822 für insgesamt 661.000 fl.; S.710) Cotta hielt Aktien an der Dampfschifffahrt, dem Minenverein Eberfeld, einer Tuch- und Papierfabrik, einer Flachsspinnerei und war am Weinhandel beteiligt.
Als er aus seinen Gütern jährlich 5000 fl. bezog, strebte Cotta nach politischer Macht. Er verlangte den in früheren Zeiten abgelegten Adelstitel seiner Familie zurück, erstritt sich vom Württembergischen König Wilhelm I. das Wahlrecht für die Ritterschaft des Schwarzwaldkreises und wohnte 1820 erstmals dem Landtag bei. Man munkelte, dass er gern Minister sein möchte. (S.555)
Je mehr Vermögen Cotta erwarb, desto mehr vernachlässigte er sein Hauptgeschäft, die Führung seines Verlages, und ließ sich von seinem Prokuristen Wagner vertreten.
Immer stärker trat nun sein eigentlicher Wesenszug hervor, den zu benennen B.Fischer aus Respekt vor Sponsoren und Sympathie für das bewegte Leben Cottas geschickt umschreibend vermeidet:
Cotta war ein Spieler und ein Spekulant – in einem kaum vorstellbaren Ausmaß -, der mit Königen verhandelte.
1788, ein Jahr nach der Verlagsübernahme, hatte der 24-Jährige erklärt, dass der Verlags-Handel der einträglichste und bloßer Spekulations-Handel sei. (S.39) Cotta spekulierte nicht nur mit Immobilien, Öl und Kolonialwaren im größten Maßstab (S.136), er spielte auch Lotterie (S.710) und war an der Wiener Warenbörse aktiv. Die Gier nach mehr Vermögen und die Sucht des Spekulieren setzte seine rechnerischen Begabungen und seine so erfolgreiche risikobewusste Zurückhaltung, wie im Verlagsgeschäft bewiesen, teilweise außer Kraft. 1827 verlor er 230.000 fl. an der Wiener Börse. (S.711) Sein Unrechtsbewusstsein wird deutlich, als er danach über den Undank der Welt klagte: Man hält mich für reich für sehr reich, es ist möglich, daß ich wenigstens in Verhältniß diser Ansicht arm sterbe – denn wer kennt die Opfer die ich Kunst und Wissenschaft brachte und noch bringe! (Cotta an Goethe, 12.April 1827, S.726)
Wenn man bedenkt, wie unwandelbar zäh Cotta ein Jahr zuvor Goethe seine Honorarvorstellungen diktierte für die Herausgabe des Gesamt- und Lebenswerkes, bekommt Cottas moralisch erscheinende Lebensweise einen noch tieferen Riss. Goethe hatte mit großem persönlichen Einsatz ein Privileg erstritten, das den Nachdruck seiner Werke deutschlandweit, sowie in Österreich verbot und daraufhin Angebote von großen Verlagsbuchhandlungen zwischen 80.000 und 100.000 Talern erhalten. Cotta setzte sein Honorar von 60.000 Talern für 40 Bände und 20.000 Exemplare auf 12 Jahre durch, natürlich nur mit Subskription. Er hatte Goethe aus früherem Vertrag zu einem Vorzugsrecht verpflichtet und konnte sicher sein, dass die Scheu Goethes vor einem neuen Verleger und konflikthaften Geldverhandlungen groß genug sein würde. Es ist schade, dass B.Fischer bei der Beurteilung der Vertragsgestaltung zwischen Goethe, seinem ihn vertretenden Sohn August und Cotta bzw. dem Vermittler Sulpiz Boissereé übliche Vorurteile ungeprüft übernimmt.
Cotta würdig an der Seite der Vielzahl von Selfmademan-Erfindern und -Wissenschaftlern zu sehen wie James Cook, James Watt, Alexander von Humboldt, gelingt mir nicht, da ein spekulativer Eigennutz bei allen seinen Geschäften hintergründig größer war als jenes planmäßige, verantwortungsbewusste und zuverlässige Vorgehen eines Entrepreneurs, das tatsächlich in neue Regionen des Wissens führt. (S.12)
Am Ende seines Lebens war Cotta trotz seiner Fehlspekulationen ein reicher Mann, dessen Kapital nach seinem Tod durch erfolgreiche Umlagerungen im Zuge des erbitterten Gefeilsches um das Erbe von seinem Sohn so minimiert wurde, dass Cottas zweite Ehefrau um einen Teil der Erbschaft gebracht wurde. Dieser Sohn Georg übernahm die Cottaische Buchhandlung und führte sie gewinnbringend weiter… (S.852)
Die umfangreiche Biografie liefert ein genaues Bild von einer sehr bewegten Zeit am Beginn des 19.Jahrhunderts und von den Menschen, die diese Zeit prägten. Der Umgang mit den Quellen ist exzellent, ebenso die wohlgesetzte Gestaltung des Buches durch M.Koltes. Absolut empfehlenswert.
Anmerkung:
fl. = Gulden, rheinisch (60 Kreuzer)