Warum Klassiker? fragt die FAZ

Der Autor T.Spreckelsen fragt im Untertitel, ob die Schüler ihre knappe Schulzeit nicht sinnvoller verbringen können, als sich beispielsweise mit dem zweihundert Jahre alten „Faust“ zu beschäftigen, den sie ohne Hilfe nicht mehr verstehen.

Der schön aufgemachte Artikel in der FAZ Nr.10 vom 8. März, Seiten 64 und 65, beantwortet die gestellten Fragen in klassischer Weise: die Schüler von heute haben andere Interessen, weshalb Verlage und Lehrer ihnen die alte Weltliteratur nur sehr verschmälert und vereinfacht, eben mundgerecht anbieten können, ohne dass dieser Umstand wirklich untersucht wird.

Nirgends erfährt der Leser, welche Bedeutung Kunst und Kultur in einer Gesellschaft überhaupt haben, im Gegenteil entsteht der Eindruck, sie seien nicht unbedingt nötig, weil sie ohnehin mit ihren überflüssigen Fragen an der »Lebensweisheit« vorbei gehen, wofür ausgerechnet der Klassiker Seneca zitiert wird.

Entsprechend wird auch nicht der Versuch gemacht, zu erklären, was Kunst ausmacht, warum sie überhaupt existiert, weil sie doch keiner wirklich braucht, da sie unverständlich bleibt, und erst vereinfacht werden muß. Von der Schönheit der Kunst keine Rede, geschweige denn von den hochverdichteten Aussagen jener »Klassiker« zu Fragen, die das Menschsein betreffen, als seien diese längst beantwortet.

Vereinzelte Ausnahmen, in denen Grundschüler in Bamberg (?) als Projekt das Nibelungenlied kindgerecht und erhellend bis zum blutigen Ende nachspielen, lenken von der Tatsache ab, dass sich die Lehrerschaft einem gesunkenen Bildungsniveau weitgehend angepasst hat, und klassische Literatur eher in Stilrichtungen und Zeiteinheiten eingeteilt vermittelt, als Freude und Interesse an den Inhalten zu wecken. Denn die begabtesten und klügsten Menschen der Vergangenheit haben Antworten formuliert auf Fragen, die nichts an ihrer Aktualität verloren haben. Sie wussten, dass die Menschen nur über die Beeinflussung der Gefühle und Sinne in die Lage versetzt werden können, ihre Einstellung zu verändern, wobei es immer darum ging, die Gegensätze auszusöhnen, zu befrieden.

Auf der Suche nach Orientierung fragt sich und uns der Autor: aber was ist das, ein erfolgreiches Leben? Es sind nicht etwa humanistisch geprägte Werte, die dazu führen, sondern Verfahrens-, Problemlösungs- oder Lernkompetenz. Der Autor stellt fest, dass dieses Allgemeinverhalten an deutschen Schulen an die Stelle von zwingend zu behandelnden Inhalten getreten sei. Aber wer ist dafür verantwortlich zu machen?

Dass der Eindruck entsteht, die Jugend sei heute dümmer als früher, weil sie nicht interessiert sei und man  sich schließlich der Jugend als einem Zeitgeist anpassen müsse, ist ernüchternd. Dabei  wird vergessen, dass die Bildung einer Jugend nur so gut sein kann, wie das System, das diese Bildung vermittelt.

Im Übrigen hat Klassik weniger mit der höchsten Steuerklasse im römischen Latium zu tun. »Klassisch« kommt aus dem Griechischen und bedeutet soviel wie typisch, zeitlos, traditionell, vorbildlich, hervorragend; eine Klasse verbindet Gruppen mit gleichen oder ähnlichen Eigenschaften; die Klassik bezeichnet eine Zeit- und Kunstepoche mit diesen Merkmalen.  Für Goethe war etwas im eigentlichen Sinne klassisch, wenn es  für jetzt und für alle Zeit vollkommen gültig war. (WA IV.47, 189)

Immerhin bedauert der Autor am Ende mit den Worten des Feuilletonisten Fritz J.Raddatz, dass ein ganz großer Radiergummi über das kulturelle Gedächtnis hinweggegangen sei und dass die Schule ein Ort wäre dagegenzuhalten.

Warum benutzt er den Konjunktiv?